Wirklichkeit – Was ist das?
„Wenn du nichts begehrst, wirst du frei“ wird so oder so ähnlich von vielen spirituellen Lehrern gesagt. Als Suchender begehre ich damit neuerdings das Nicht-Begehren. Wie soll mich irgendeine Technik in diesem nun neuen Begehren nach dem Nicht-Begehren zur Wirklichkeit– mein Geist bleibt verwirrt, wie so oft.
Mein Verstand ist zur Bewältigung der alltäglichen, weltlichen Dingen hervorragend geeignet.
Mit meinem Intellekt die Wirklichkeit, also die Wahrheit über das Leben, über mich und meinen Körper zu erkennen, scheint aber kaum möglich.
„Die Wirklichkeit, das bist DU in deinem Körper im HIER und JETZT“ führt Osho und viele Meister mit ihm aus.
„Mit deinem Verstand dagegen suchst und verlangst du immer etwas; dein Verstand ist immer in der Zukunft oder in der Vergangenheit auf der Suche.
Ohje, so kommen mein Verstand und meine Wirklichkeit nie zusammen – ich bin wahrhaftig mit meinem Körper im Hier und Jetzt, mein Intellekt springt im Dann und Dort umher. In dem Moment, in dem ich mich mit dem Verstand im Dann und Dort zu suchen beginne, entferne ich mich von mir hier in der Gegenwart.
Nun gut, ich kann also meine Wirklichkeit nicht mit dem Verstand suchen; Laotse sagt „Suche nicht sonst verfehlst du es; suche nicht, dann findest du!“
Wie soll ich mein Denken vom Suchen zum Nicht-Suchen umleiten. Durch Laotses Vorschlag fühle ich mich kaum unterstützt, da gleich mein Intellekt anspringt und zu suchen, zu rattern beginnt.
Im Bhairava Tantra äußert sich Shiva erst gar nicht zu Shaktis Frage nach der Wirklichkeit mit einer Erklärung oder Anweisung; er schlägt ganz einfach vor.
„ Strahlende (Shakti),
die Erfahrung der Wirklichkeit magst du zwischen zwei Atemzügen erahnen.
Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt und dann wieder von oben nach unten kehrt, durch diese beiden Wendungen erkenne! „
Dann folge ich Shivas Vorschlag:
Ich folge mit meiner Aufmerksamkeit dem Einatmen bis zum Ende, wende und ich gehe danach zum Ausatmen über;
– ein unbekanntes Gefühl beschleicht mich;
die Atem Richtung dreht sich — und irgendwie auch mein Verstand
und für einen kurzen Moment scheint mein Verstand still zu stehen- ist ganz in der Gegenwart.
Wir atmen zwischen Geburt und Tod, egal was ist, ob wir glücklich sind, ob wir traurig erfolgreich oder gescheitert sind. Alles verändert sich im Leben und der Atem ist in seiner Tiefe und Schnelligkeit dauernd an unsere Lebenssituation angepasst, aber unbeirrt hält er uns am Leben. Atem oder Prana ist Lebendigkeit.
Der Atem ist wie eine Brücke zwischen mir, meinem Verstand und meinem Körper im Hier und Jetzt. Mein Körper ist Teil des ganzen Universums und in meinem Atem erhalte ist so auch eine Brücke zum Universum, zu allem, zu Raum und Zeit.
Ich kann nicht ohne Atem Leben, meinen Verstand brauche ich dazu aber nicht. Mein Atmen ist unbewusst und ich atme auch im Tiefschlaf und im Koma.
Wir atmen ein und wir atmen aus, unser ganzes Leben, nicht so ihm Tod.
Aber was ist in den Momenten dazwischen, in denen wir weder ein- noch ausatmen, diese Momente des Wechsels zwischen Ein- und Aus- und Einatmen. Unsere Aufmerksamkeit ist kaum je auf diesen Moment gerichtet, in dem wir gerade nicht atmen.
Mir scheint, dass ich zunächst mal gar keine spezielle Atemtechnik brauche, sondern es geht nur darum diesen Moment der Umkehr bewusst wahrzunehmen, indem mein Leben zum Stillstand im Moment des Jetzt kommt.
Ich folge also mit meiner ganzen Aufmerksamkeit beim Einatmen bis zum Punkt der Umkehr und dann wieder beim Ausatmen mit all meiner Aufmerksamkeit zum nächsten Wendepunkt. Atem und Bewusstsein sollen eins werden, gleichzeitig geht es aber nicht um den Atem an sich sondern um die Umkehrpunkte, die ich so bewusst wahrnehmen kann.
Und das mache ich nun dauernd am Schreibtisch, unter der Dusche, an der Kasse im Supermarkt, beim Einschlafen ….
Mit meiner Aufmerksamkeit scheinen diese Wendepunkte des Atems länger zu werden – und es wird immer spannender auf dieser Reise…